Bayern sieben, Barça null

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Bildquelle: fcbarcelona.com

Ist es das Ende einer Ära? Star-Kommentator Béla Réthy zumindest hat sich gestern dahingehend eingelassen; es war die einzige sinnvolle Frage, die er während des ganzen Abends in den Raum geworfen hat. Bereits die nächste Feststellung, Iniesta habe seinen Zenit längst überschritten, war Zeugnis einer zweifelhaften fußballerischen Vorbildung. Jupp Heynckes hingegen wollte nichts vom Ende einer Ära hören und nahm den Kontrahenten in Schutz. Und wie sieht es die Anhängerschaft des FC Barcelona? Für viele ist der Hauptschuldige für die Schmach bereits ausfindig gemacht. Völlig differenzierungslos wird Tito Vilanova in die Verantwortung genommen und seine Befähigung zum Traineramt bestritten.

Widersprüchliche Argumentation

Wenn es in einer Mannschaft nicht läuft, steht immer zuerst der Trainer am Pranger. Für gewöhnlich zieht der Verein dann die Reißleine in der Hoffnung, dass ein neuer Trainer den Negativtrend binnen weniger Stunden umkehren kann. Tatsächlich sind Beispiele bekannt, die belegen, dass dieses Vorgehen manchmal Früchte getragen hat. Überwiegend hingegen dürfte der Mehrwert eines neuen Trainers, der eine gebeutelte Mannschaft übernimmt, kaum erwähnenswert sein. Ein Trainerwechsel ist aber schlicht die einzige Maßnahme, die ein Verein durchführen kann. Ein oberflächlicher Impuls an die Mannschaft, der nie der Komplexität einer entsprechenden Situation gerecht wird und dem die Unsportlichkeit und Unfairness immanent ist.

Tito Vilanova dient dieser Tage als Projektionsfläche für die Wut und Enttäuschung zahlreicher Fans, ungeachtet der Tatsache, dass niemand ernsthaft zu schätzen vermag, wie hoch der Mitverschuldensanteil des Trainers zu bemessen ist. Es ist eine Anmaßung überlegenen Wissens, das aufgrund der Ferne und der Distanz zum unmittelbaren Geschehen nicht gewärtig sein kann. Die Kausalkette zwischen der nicht stimmigen Mannschaftsleistung und einem überwiegenden Verschulden des Trainers ist lang und es bestehen berechtigte Zweifel, ob jemand außerhalb der Mannschaft in der Lage ist, diese widerspruchsfrei zu konstruieren. Ein Widerspruch lässt sich dabei mit Einfachheit entlarven: Die Forderung, Barça möge die halbe Mannschaft verbannen und auf dem Transfermarkt kräftig zulangen, ist nahezu einstimmig von den Fans formuliert worden. Man ist unzufrieden mit vielen Spielern, die auf dem Platz nur noch ein Schattendasein führen und unter dem Radar fliegen. Die Forderung nach starken Transferaktivitäten ist auch Ausdruck des fehlenden Glaubens, dass diese Spieler jemals wieder an ihre Form vergangener Tage werden anknüpfen können. Wie verträgt sich diese Erwartungshaltung mit der allgemeinen Meinung über Tito Vilanovas Befähigung? Wenn das Augenmerk auf das unzulängliche Spielermaterial gelegt wird, bewirkt dies eine Entlastung von Tito Vilanova. Ohne die richtigen Spieler kann man in der Champions League gegen die schweren Brocken nicht bestehen.

Der gute Ruf eilt voraus

Wenngleich viele vermeintliche Verfehlungen von Tito Vilanova schwer messbar sind(oder: nicht vorhanden) und es deshalb schwer fällt, ihm das blamable Ausscheiden aus der Königsklasse vollständig anzukreiden, so spricht man mit dem Umgang mit den jungen Spieler in dieser Saison einen Aspekt an, der eine etwas griffigere Argumentation ermöglicht. Gegen den FC Bayern München ging Marc Bartra in Hin- und Rückspiel über die volle Distanz und man ist sich weitestgehend darüber einig, dass Bartra seine schwere Aufgabe mit unerwartetem Erfolg meisterte. Die geringe Spielzeit im Verlauf dieser Saison suggerierte ein Bild von ihm, das nicht seiner Leistungsfähigkeit entspricht. Man ist davon ausgegangen, dass seine Trainingsleistungen stark hinter den Erwartungen zurückhinken und Marc Bartra aus diesem Grund die Möglichkeit vorenthalten wird, sich häufiger in Pflichtspielen zu beweisen. Aufgrund der geringen Einsatzzeiten hatte niemand damit gerechnet, dass sich Bartra auf diesem Niveau derart wacker zu schlagen vermag und es drängt sich die Vermutung auf, dass er bei etwas mehr Zutrauen seines Trainers noch viel besser werden könnte.

Aber nicht nur in der Causa Bartra kann man Vilanova Verfehlungen nachweisen. Die namhaften Spieler in der Mannschaft können seit Wochen und Monaten nicht ihr gesamtes Leistungspotenzial abrufen. Insbesondere Xavi und Alves haben sich den Unmut der Fans redlich verdient, nicht jedoch jenen von Tito Vilanova. Immer wieder wurden beide Spieler aufgeboten, obschon mit Montoya und Thiago zwei hoffnungsvolle Talente in den Startlöchern standen, die gewiss in der Lage waren, die Mannschaft zu verstärken. Auch ein David Villa oder Pedro versprühen längst nicht mehr den Glanz vergangener Tage und hätten sich in Gestalt von Tello noch größerer Konkurrenz erwehren müssen. Dass die alte Garde beinahe eine Einsatzgarantie genießt und sich ihren Platz nicht durch konstant gute Leistungen immer wieder neu verdienen muss, entbehrt jeder vernünftigen Grundlage. 

Andererseits ist es für einen Trainer gewiss nicht leicht, namhafte Persönlichkeiten, die sich der Ehre und der Liebe der Fans verdient gemacht haben, einfach nicht zu berücksichtigen. Der große Name der Spieler eilt ihnen voraus und es ist schon fast zwingend, dass man den bestmöglichen Zeitpunkt verpasst, ihre unangefochtene Vormachtstellung auf dem Platz einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Erst ein etwas länger währender Trend gibt dem Trainertream Aufschluss darüber, wie es in Wahrheit um die Leistungsfähigkeit der einstigen Weltklasse-Akteure steht. Zuvor kann man sich als Trainer immer eher mit dem Gedanken anfreunden, dass die Spieler nur ein vorübergehendes Tief durchleben und alsbald wieder an ihr Leistungsvermögen anknüpfen können. Dass dieses große Team, das so zahlreiche Erfolge errungen hat, irgendwann in der Zukunft mit einem großen Knall ihren Abgesang einläutet, war jedem Fan ex ante bereits bewusst. Es konnte keinen weichen Übergang in eine neue Ära, um bei der allgemeinen Medienterminologie zu bleiben, geben. Dazu waren diese Mannschaft, diese Spieler einfach zu groß.

Erfolgsbedingter Mangel von Vilanova

Die Vorboten dieses grausamen Ereignisses klopfen aber nicht erst seit gestern an die Tür des FC Barcelona. Bereits zu Zeiten von Pep Guardiola hat sich angekündigt, dass massive Probleme auf die Mannschaft zukommen könnten. Die Partien gegen Real Madrid glichen einer Karussellfahrt – man wusste schon damals nicht, wie man gegen physisch starke Mannschaften, die sich nicht pressen lassen, ankommen sollte. Man hätte schon damals gegen die Madrilenen innerhalb von 20 Minuten 3:0 zurückliegen können, nur Glück und Zufall verhinderten die Enthüllung der heute bekannten Tatsachen. Wahrscheinlich wäre es jedem Trainer so ergangen wie Tito Vilanova, ohne diese Frage jetzt einer abschließenden Erörterung zu unterziehen. Ist Vilanova der richtige Trainer für den FC Barcelona? Er hat Ahnung von Fußball, so viel steht fest. Sein ruhiges Gemüt darf ihm nicht zum Nachteil ausgelegt werden; nur weil ein Mensch ein ruhiges Wesen besitzt, bedeutet es noch nicht, dass ihm Führungsqualitäten fehlen. Nicht jeder muss wie eine wild gewordene Vogelscheuche am Spielfeldrand seine Empfindungen kundtun, zumal man damit dem Gegner vieles offenbart.

Tito Vilanovas Mannschaftsführung könnte allerdings dem gleichen erfolgsbedingten Mangel unterliegen wie einst jene von Pep Guardiola. Ebenso wie Pep hat Tito Vilanova mit der Mannschaft alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Aus dem (Co-)Trainer-Spieler-Verhältnis sind Freundschaften hervorgegangen, die einer produktiven Zusammenarbeit eher hinderlich als förderlich waren und sind. Gewiss ist dieser Aspekt auch mitverantwortlich für den Abgang von Pep Guardiola. Je größer die freundschaftliche Verbundenheit, desto eher sucht man nach Lösungen, die keinerlei Reibungen aufkommen lassen. Diese geschickt zu umgehen, ohne unter dem Gesamtpotenzial zurückzubleiben, bedarf intelligenter Methoden, um nicht unnötig Unruhe in die Mannschaft zu bringen. Guter Rat ist teuer, aber Sir Alex Ferguson würde ihn sicher erteilen.

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